Für das Erinnern
(ebenfalls anwesend: Tibor Dembik)
Lorenz Wastlhuber lebte als 13-jähriger in der Nachbarschaft des Konzentrationslagers Mettenheim I. Der elterliche Hof lag an der ("alten") B12. Wenn er aus dem Fenster sah, konnte er bei den Appellen zusehen und er sah auch die Karren, die die Toten abtransportierten.
Er berichtete ihn mehreren Interviews und vielen Gesprächen mit Jugendlichen von seinen Erinnerungen an diese Zeit.
Ich habe nicht nur in der Nähe, sondern inmitten dieses KZ‑Lagers gelebt . Mein elterliches Anwesen, in dem ich zuhause bin, war von drei Seiten vom. KZ‑Lager umgeben. Eigentlich war das früher erbaut worden, als Wehrmachtsbekleidungslager für, die Luftwaffe ‑ für den Fliegerhorst in Mettenheim‑ ist aber dann nach Fertigstellung, nachdem, es direkt am Flugplatzgelände angelegen war, zu einem KZ‑Lager umfunktioniert worden. Auf der Westseite meines Elternhauses war die Wachmannschaft untergebracht und auf der Nordund Ostseite war das Anwesen mit dem KZ‑Lager umgeben. Die Beobachtungen, die man dort machen konnte oder machen musste, die waren sehr, betrüblich und sehr grauenhaft. Wenn ich mich heute noch zurückerinnere, ich war damals im Alter zwischen 12 und 14 Jahren, als dieses KZ-Lager dort betrieben wurde, dann sind diese Wahrnehmungen, die man als Junge damals gemacht hat bei mir noch In lebhafter Erinnerung und ich seh' heute diese ausgemergelten Gestalten, die in diesem KZ-Lager gelebt haben, noch sehr lebhaft vor meinen Augen.
Und wann Sie mich nach Erinnerungen fragen, die direkt gemacht wurden, so denke ich zum Beispiel an einen Abend, den ich dort erlebt habe; die Küche des KZ‑Lagers, die war von meinem Elternhaus vielleicht etwa 100 ‑ 150 Meter entfernt, und da wurden am Abend die Insassen dieses Lagers zusammengeholt, zum Essen fassen, soweit man diesen Fraß, der diesen Häftlingen vorgesetzt wurde, überhaupt als Essen bezeichnen kann. Und als die gesamte Mannschaft dann versammelt war vor der Küche, hat man dann mit. Ich kann mich jetzt nicht mehr genau erinnern ‑waren's drei oder vier dressierte Schäferhunde, die hat man dann unter die Mannschaft druntergelassen, und die Lagerkapos sind mit Schlagstöcken auf diese ausgemergelten Gestalten vorgegangen und haben die geknüppelt und mit Hunden gehetzt, bis auch der letzte wieder in seiner Baracke war. Als diese Prozedur abgeschlossen war, hat man sofort wieder zum Essenfassen ausgerufen, diese hungrigen Insassen sind selbstverständlich, nach dem sie auch vorher ... was sie erlebt haben, wieder zur Küche gekommen, um dort ihr Essen abzuholen.
Aber als die Mannschaft wieder versammelt war, wurde diese Prozedur wieder wiederholt und ich weiß nicht mehr genau, waren dies zwei‑ oder dreimal, als man dies wiederholt hat. Diese Erinnerung werde ich nie, bis an mein Lebensende nicht vergessen, weil man es sich nicht vorstellen kann, wie diese Leute da misshandelt und geknüppelt wurden, nur weil sie eben vorher zum Essenfassen angetreten waren, zu dem man sie ja geholt hatte. Ich erinnere mich weiterhin, dass man diese Leute, die ja den ganzen Tag über auf dem sogenannten Bunkergelände, bei dem im Mettenheimer Hart, inmitten des Forstes, dieses Messerschmitt‑Werk, das da gebaut werden sollte, waren ja die im Arbeitseinsatz und mussten den ganzen Tag über Zementsäcke schleppen und da hat man die am Samstag antreten lassen im Gänsemarsch, ich seh' die heute noch vor mir stehen, und dann hat man sie mit einem Stock abgeklopft, ob ihre Sträflingskleidung staubt, und bei dem sie gestaubt hat, den hat man so lange geschlagen, bis der Staub eben nicht mehr aus ihrem Sträflingsanzug herausgekommen ist.
Man hat auch weiterhin diese Häftlinge in Pflüge eingespannt, anstatt das mit Pferden zu betreiben. Da hat man so eiserne Travanderpflüge gehabt" bei denen man normalerweise zwei Pferde vorspannte zum Pflügen, und da hat man ein Drahtseil vorgespannt, vier Prügel quer durch und links und rechts vier Häftlinge, mit acht Häftlingen hat man dann den ganzen Tag über gepflügt und nicht nur einen lockeren Acker gepflügt, sondern man hat Wiesen umgerissen, was ja ein Vorgang ist, wo jeder weiß, der mit der Landwirtschaft vertraut ist, dass das eine anstrengende Arbeit auch für Zugpferde ist. Da Ist man natürlich mit einem Prügel links und rechts, ‑ ein Wachposten und so ein Lagerkapo oder Lagerwacher oder wie man die auch genannt hat ‑ der ist da mit einem, Prügel und mit einem Schlagstock hinterher gegangen und hat die angetrieben und hat einfach den ganzen Tag diese Leute hier eingespannt, bis sie eben aus Erschöpfung umgefallen sind.
Ebenso haben die auch ihre Abortanlagen, soweit man's als solche auch bezeichnen konnte, wenn dies entleert wurde, diese Fässer die da aufs Feld gefahren wurden, wurden alle von den Häftlingen gezogen und geschoben, man hatte die Pferde, die ja vorhanden waren, die hat man da im Stall drin stehenlassen" und man hat da einfach die Häftlinge vorgespannt, um diese zu quälen und zu martern. Wenn die dann rausgingen, in das Bunkergelände, um dort ihre tägliche Arbeit mit Zementsäckeschleppen und was sonst der auf dieser Baustelle angefallen ist, zu tätigen, dann mussten sie das singend tun mussten ein Lied singen, da gab's so ein berühmtes Lied, das hab' ich noch gut in Erinnerung, das da mal mittendrin geheißen hat "Es ist so schön, im Lager zu sein". Es war eine Unverschämtheit, was man diesen Leuten da alles zugemutet hat. Beim Rausfahren hat man so einen "Zwieradlerkarrn", hat man bei uns in Altbayern so gesagt, dabei gehabt, den hat man mitgeschoben. Wenn dann einer umgefallen ist, dass er schlappgemacht hat, dass es nicht mehr gegangen ist, dann hat man ihn eben auf den Zweiradlerkarrn 'nauf, hat man ihn mitgeschoben, ob der noch einmal zurückgekommen ist, ins Lager, ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Für alle Fälle, die dann leer zurück gekommen sind, die sind ja dann extra abgesondert worden, in eine Baracke rein - ich glaub, das wird der Herr Dembik am Besten wissen als Insasse - wie das da gehandhabt wurde, wie man die dann weiterhin handelt und gepflegt hat.
Das Ganze ist ein Vorgang gewesen, der unbeschreiblich ist, dem man eigentlich... wer das nicht mit eigenen Augen gesehen hat, der kann sich das gar nicht vorstellen, mit welcher Brutalität, mit welcher ungeheuren Grausamkeit diese Leute dort quält wurden, nur weil sie eben vielleicht ein anderer Menschenschlag waren, die absolut nichts verbrochen hatten. Man muss noch zu sagen. dass diese Lagerkapos, die da drin waren, das waren ja in Regel Gewaltverbrecher, Verbrecher, die zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt waren, weil sie entweder einen Raubmord, ein Sittlichkeitsverbrechen oder ähnliche Dinge begangen hatten, zu dem sie einen lebenslänglich zu Zuchthaus verurteilt waren, das waren in diesem Lager die Kapos, die haben ein Besseres wesentlich besseres: Leben führt als der Insasse da drin, und das waren die, die auch die Insassen dann auch dementsprechend brutal gequält und geschlagen haben.
Der Lagerälteste, das weiß ich auch noch sehr gut, das war ein lebenslänglich verurteilter Raubmörder, der hat sich frei bewegen können, hat auch keine Sträflingskleidung getragen wie die übrigen Insassen getragen haben, sondern der hat eine ganz normale blaue Arbeitsmontur...war dem seine Kleidung und er hat sich auch mit dem Fahrrad frei in der Gegend herumbewegt, dem ist's auch nicht in den Sinn gekommen, dass er da abhauen müsste, denn ich glaub sicher, dass dem noch nie in seinem Leben so gut gegangen hat, als wie 's ihm da drin, dem Lager gegangen hat, obwohl er lebenslänglich Zuchthaus für einen Raubmord auf seinem Konto hatte.
Auch ... was ich noch auch in sehr guter Erinnerung habe, das waren diese vielen Toten, die von dort weggeschafft wurden, das war jeden Tag, das man die... mit einem,...wir haben da immer gesagt so ein Russenwagerl, das war ein Leiterwagen, wo die Räder hinten und vorne gleich hoch waren, und das waren, so schräg raus so Leitern, und da hat man die hineingeschmissen, die Toten, natürlich völlig nackt ausgezogen, denen hat man das Sträflingskleid auch noch runtergerissen, wenn sie gestorben waren, hat sie dort hinein geschmissen, als wie wenn man im Wald draußen ... der Waldarbeiter da seine Holzscheiten so sterweise auf Wägen raufschmeißt, eine Plane drüber... einmal ist hinten ein Fuß nausgehängt, einmal ist an der Seite eine Hand nausgehängt und so hat man die dann mit zwei Schimmeln, da waren zwei Schimmel vorgespannt als Pferde, und mit denen hat man's dann in Wald 'naus und da draußen in ein Massengrab mit dem Bagger verscharrt.
Tibor Dembik: Und das sind diese Leichen, welche verteilt worden sind auf die Friedhöfe von Mühldorf, Neumarkt und Burghausen.
Die Leute, die haben das sehr wohl gewusst in der näheren Umgebung dass das ein KZ‑Lager ist, es war ja auch so, dass auf der Südseite des Lagers die Bundesstraße 12 unmittelbar hart am Lager vorbeiging, und ich erinnere mich recht gut noch daran, dann viele Bekannte meiner Eltern, wenn die grad einmal ... damals, hat man ja kein Auto nicht gehabt um sich fortzubewegen, sondern damals ist man ja mit dem Fahrrad gefahren, wer in die Kreisstadt nach Mühldorf aus der westlichen Gegend, von Richtung Ampfing und was da drüber hinaus noch alles zum Landkreis noch dazugehört, wenn die grad einmal in der Kreisstadt was tun hatten, haben sie ja keinen anderen Weg gehabt, als wie da her fahren und die Leut', wenn’s dann vorbeigefahren sind, haben das gesehen, und ich erinnere mich recht gut, dass da viele Bekannte reingekommen sind zu uns, haben meine Mutter oder meinen Vater gefragt, was denn da los, ist" und ich erinnere mich auch noch, grad, ich vorhin angesprochen habe, dass man die Häftlinge an einen Pflug vorgespannt hat, da hat man mit denen hart neben der Bundesstraße 12, auf der gegenüberliegenden Seite vom Lager hat man mit denen Wiesen umgepflügt und ich erinnere mich noch recht gut, dass eine Frau von Mühldorf, die wollte nach Ampfing, und die ist meiner Mutter reingekommen ‑ war eine recht gut bekannte Frau meiner Mutter ‑ die ist heulend gekommen und hat gesagt: "Ja, tun’s doch etwas, ja das geht doch nicht, die haben da vorne die Leute gespannt."
Und ich weiß auch, dass meine Mutter .... von unserer Küche 'naus konnte man das Lager auf eine ganz entsprechende Länge sehen ‑ und meine Mutter ist oft am Küchenfenster gestanden und hat geweint über das Elend, das man da täglich in diesem Lager sehen musste. Aber tun konnte dazu niemand etwas, denn man hatte überhaupt eine Macht, da irgendwie dagegen anzukämpfen, denn es war ja nicht wie das heute ist. In unserer heutigen Demokratie, wenn irgendwas, wenn's auch was Vernünftiges ist, dann wird eben auf die Straße gegangen und wird demonstriert. Das hat man damals absolut nicht getan, da hat man's Maul halten müssen. Ich weiß auch, dass meine Mutter einen solchen SS‑Mann einmal angesprochen hat und hat gesagt: „So geht's doch nicht, was macht ihr denn da, das ist doch eine Unverschämtheit!" und dann war die erste Frage "Ja, wollen Sie da auch rein?" Also man hatte überhaupt keine Möglichkeit, den Leuten da zu helfen.
Der Vater hat vor'm Sohn Angst gehabt, einer vom anderen aus der Verwandtschaft hat Angst gehabt und jeder war ein Polizist. So ungefähr.
Ich erinnere mich recht gut, wenn mein Vater und meine Mutter zuhause von diesen Unerhörtheiten und Grausamkeiten gesprochen haben, dann haben sie jedes mal wenn wir Kinder mit dabei waren, uns darum gebeten und eindringlich darauf hingewiesen: "Kinder, tut’s ja nichts sagen, wenn irgendwas draußen in der Öffentlichkeit bekannt wird, dann werden wir sofort verhaftet und eingesperrt!" Und es war wirklich so.
Es war wirklich so, dass man überhaupt dazu nichts sagen durfte. Wer zu sich zu etwas geäußert hat in negativer Art, der musste damit rechnen, dass er am nächsten Tag von der Gestapo abgeholt wird auf Nichtmehrwiedersehen.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang Ihrer Frage auf eine Begebenheit. Da war für das Lager das Wasserpumpwerk kaputt, und da mussten die Häftlinge von meinem Elternhaus, vom Brunnen das Wasser abschöpfen in ein Fass hinein und dort eben in die Lagerküche zum Kochen zu bringen. Und wie es früher auf einem landwirtschaftlichen Anwesen üblich war, so war's auch bei uns zuhause, dass ein Backofen dabei war, bei dem man das Brot das man ja täglich verbraucht hat, im eigenen Backofen gebacken hat. Und meine Mutter hatte damals gerade Brot gebacken, und einer dieser Häftlinge hat das beobachtet und hat so einen Brotlaib direkt am Fenster liegen sehen und hat dann versucht, ob er nicht ein Stück Brot haben könnte. Meine Mutter hat denen dann den Brotlaib aushändigt und hat dann ganz erhebliche Schwierigkeiten von diesem Wachsoldaten bekommen. Der ist, wie er das gemerkt hat, dass da so ein Häftlinge ein Stück Brot in der Hand hat, ist er gleich hin und hat den gleich über den Haufen geschlagen und meine Mutter ist dann hingegangen und hat den dann zur Rede gestellt, warum er denn so unverschämt sei, er solle sich doch schämen, den er war, ja persönlich auch nicht mit dem Essen, das er als Soldat in seiner Küche bekommen hat, zufrieden und ist auch zu uns reingekommen, in mein Elternhaus, hat sich dann und wann einen Liter Milch gekauft und hat geschaut, ob er nicht einmal ein Stückchen Butter zu kaufen bekommen hat, weil sein Essen, das ja überhaupt nicht mit dem zu vergleichen war, was die im Lager erhalten haben, auch zu schlecht war. Und da hat er sich dann doch offensichtlich geschämt und hat dann nichts mehr dazu gesagt und diesen Häftlingen den Laib Brot überlassen. Aber: Es durfte sich absolut niemand erwischen lassen, denen etwas zuzustecken, das war fast lebensgefährlich, wenn man so etwas getan hat.
Die Befreiung des Lagers, das ist eigentlich sehr...soweit ich das noch in Erinnerung habe, sehr ruhig über die Bühne gegangen. Häftlinge vom KZ‑Lager waren ja fast nicht mehr da, nur sehr wenige noch, die haben ja noch ... ich weiß jetzt nimmer, zwei Tage vorher oder war's ein Tag vorher ...
T.D.: Das war so ungefähr 24. oder 25. April 45 oder noch etwas früher, da hat man so einen Zug reingeschoben, da war ja ein Anschlussgleis von der Bundesbahn, also Reichsbahn hat's damals geheißen, von Ampfing her war ja ein Anschlussgleis nach dem Mettenheimer Flughafen vorhanden. Dieses Anschlussgleis ist jetzt nicht für das Lager gebaut worden, sondern es war für den Flughafen gebaut. Aber von diesem Anschlussgleis hat man dann einen ganzen Güterzug mit Viehwaggons reingeschoben, hat diese Häftlinge in diese Viehwaggons verladen und abtransportiert bis auf einige ...
T.D.: Kranke und Pflegepersonen...
L.W.: Ja, und nur noch diese wenigen, die waren dann am 2. Mai, als die Amerikaner gekommen sind, waren die noch anwesend und da hat's eigentlich keine Schwierigkeiten gegeben. Wachpersonal war, das muss man auch noch dazu sagen, übernacht verschwunden...
T.D.: Nein. nein. Am 2.Mai früh sind die verschwunden.
L.W. Wer Mitglied der nationalsozialistischen Partei war, der wurde zur Ausgrabung dieser Massengräber herangezogen. Die hat man einfach dann verpflichtet, also freiwillig sind die bestimmt nicht dorthin gegangen, und ich erinnere mich auch noch gut daran, als ... die waren ja bekannte Leute, die man persönlich gekannt hat, als die mit dem Fahrrad sind die da rausgefahren, ganze Gruppen, so wie sie zusammengestellt waren, und haben dann diese Umbettungen vornehmen müssen.
Die wollten sich natürlich auch dem entziehen, aber da war keine Chance: Wer Mitglied der NSDAP, der wurde einfach da herangezogen und ich bin schon überzeugt, dass da einige dabei waren, die nicht gewusst haben, was hier vorgeht und denen die Augen über dieses grausige Geschehen erst bei dieser Umbettung geöffnet wurden.