Für das Erinnern
Rede von Franz Langstein, Vors. des Vereins "Für das Erinnern", Mühldorf
beim Symposium in Budapest am 21. April 2006
Sehr geehrte Damen und Herren,
herzlich bedanke ich mich für diese Einladung. Ich freue mich, dass wir unseren Dialog zwischen Mühldorf und Ihrem Verband fortsetzen dürfen. Damit werden wir auch unserem europäischen Gedanken gerecht. Denn jede isolierte Betrachtung führt zu Einseitigkeiten, jeder Austausch mit dem, wie es die Anderen erlebt haben oder ihnen davon berichtet worden ist, verändert den eigenen Blickwinkel.
Nicht nur deshalb bin in Ihrer Einladung gerne nachgekommen. Noch wichtiger ist für mich der Besuch derer, die selbst oder deren Angehörige in Mühldorf waren oder dort gestorben sind. Ich möchte Ihnen und allen, die unter dem Holocaust gelitten haben, für die Ehre danken, die Sie mir geben, wenn ich hier sprechen kann.
Der Holocaust im Unterricht vom Anfang bis Jetzt, so lautet ihre Themenstellung für mich. Unterricht und schulische Curricula sind immer der Ausdruck der herrschenden gesellschaftlichen Entwicklung und Meinung. Deshalb möchte ich meinen Vortrag mit der Betrachtung der bundesrepublikanischen Entwicklung in der Umgangsweise mit der NS-Vergangenheit aufbauen. Ich habe Ihre Themenstellung erweitert: Ich kann nicht über den Holocaust isoliert sprechen, denn er ist als das prägende Geschehen eingebunden in die Geschichte des Umgangs mit dem NS-Regimes.
Deutlich wird dies im Übrigen schon bei der Themenstellung: Denn der Begriff des Holocaust hat erst in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts den bisher genutzten Sammelbegriff für all das Greuel abgelöst, welcher bis dahin in Gebrauch war: nämlich Auschwitz.
Aber dazu kommen wir noch.
Als 1989 die Wiedervereinigung gefeiert wurde, schrieb die Süddeutsche Zeitung: Ein Staat ist angekommen! Gemeint war: Angekommen bei den Bürgern, angekommen im Westen, als ein politisch stabiles Gemeinwesen.
Fragt man nach den Prämissen für diese Erfolgsgeschichte, so lautet die Antwort jetzt immer auch, und zwar keineswegs unter ferner liefen: Zu den Grundlagen dieses Erfolgs gehöre die überzeugende Abkehr von und der fortdauernde selbstkritische Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.
Wir können insgesamt vier Perioden des Umgangs mit dieser Geschichte benennen. Einmal die
In der Phase der Säuberungspolitik versuchten die Alliierten, strafrechtliche Konsequenzen für Verantwortliche des NS-Regimes zu ziehen. Über 800 Todesurteile wurden ausgesprochen, mindestens ein Drittel davon wurde vollstreckt. Ehemalige Parteifunktionäre und SS-Mitglieder wurden arrestiert. Ende 1945 waren etwa 100.000 Personen interniert – übrigens zumeist in ehemaligen KZ-Lagern, bei freilich wesentlich besserer Verpflegung und Behandlung. Angestellte des öffentlichen Dienstes, die vor dem 1. mai 1937 der NSDAP beigetreten waren, mussten im amerikanischen Sektor ihren Schreibtisch räumen.
Dass es dabei natur gemäß zu Ungerechtigkeiten kam ist vorstellbar.
Dies wurde von Teilen der Gesellschaft aber als willkommenes Argument für eine generelle Kritik an der Säuberung verwendet. Sie treffe ja nur die Falschen, die Kleinen könnten ja nichts dafür, und schon damals: Wir haben ja nur einen Krieg geführt und dabei unsere Befehle befolgt!
In der zweiten Phase, der Phase der Vergangenheitspolitik, wurde nun der Versuch unternommen, mit der durchaus erfolgreichen politischen Säuberung umzugehen. Pointiert gesagt: Es ging um die Bewältigung der frühen NS-Bewältigung!
Das 1949 verabschiedete Grundgesetz bildete mit seiner normativen Abkehr vom Nationalsozialismus dabei für viele die Begründung, wieder zu normalen Verhältnissen zurück zu kehren In der Bevölkerung reifte die Diskussion zu einem Schlussstrichdenken, das sich mit dem Aus der Entnazifizierung und der Amnestie für Straftaten, die vor dem 15. September 1949 begangen wurden und die mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft werden konnten, keineswegs zufrieden gab.
Es folgte eine Strategie der Verharmlosung, Leugnung und Irreführung, die NS-Verbrechern zur Freiheit verhalf. Eine besondere Rolle spielten dabei die christlichen Kirchen, die sich unverblümt gegen eine angebliche Siegerjustiz wandten. Es mag dabei Spekulation bleiben, inwieweit eigene Scham über das Versagen in der NS-Zeit ein tragender Grund war.
In dieser Zeit entstand auch der Vorwurf der Kollektivschuld-These. Obwohl zwar nie so geäußert, wurde dieser Vorwurf instrumentalisiert. Wir können feststellen, dass es wohl Ausdruck der fortbestehenden volksgemeinschaftlichen Solidarisierung im deutschen Nachkriegsbewusstsein war.
Befördert wurde damit auch die bestehende Neigung, den fundamentalen Unrechtscharakter des NS-Regimes und seines Eroberungskrieges aus dem kollektiven Bewusstsein auszublenden.
Die damit verbundene Delegitimierung der im Rahmen der alliierten Prozesse klar zutage geförderte Verstrickung des Militärs in die Verbrechen des Regimes, stützte die Meinung über die angeblich sauber gebliebene Wehrmacht. Die Nachwirkungen konnten in den hitzigen Auseinandersetzungen über die beiden ersten Wehrmachtsausstellungen gut verfolgt werden.
Noch ein Wort zum Unterricht: hier wurde gelernt, dass in den KZs Menschen arbeiten mussten, die nicht gerecht waren, und die somit zu ihrem eigenen Schutz dort untergebracht worden waren!
Wie kam es dann zu der dritten Phase, der Phase der Vergangenheitsbewältigung?
Gerade die skandalöse Vergangenheitspolitik förderte diese Entwicklung, wenn wir die Dinge dialektisch betrachten. Das Wort von der unbewältigten Vergangenheit brachte bringt die Empfindungen vieler auf den Punkt. Geschöpft wurde die moralische Kraft aus der Vielzahl von Skandalen um personelle und institutionelle Kontinuitäten.
Intellektuelle wie Theodor W. Adorno und Karl Jaspers mühten sich nun immer stärker darum, in den Medien wie in den Schulen die Aufklärung über die jüngste deutsche Vergangenheit voran zu treiben.
Hinzu kam ein durch die skandalösen Unterlassungen der fünfziger Jahre geschärfter Blick auf die Täter. Es entstand ein höchst aktives Netzwerk von Politikern und Juristen, Künstlern und Intellektuellen, die sich der Forderung nach dem immer wieder zu hörenden Schlussstrich entgegen setzten.
Hinzu kamen die kritischen Anfragen der Kinder und Jugendlichen der Kriegsgeneration an ihre Eltern. Einer Auskunftsverweigerung zusammen mit fast überall wieder hergestellten Personalkontinuitäten folgte gesamtgesellschaftlich gesehen die Achtundsechziger Revolte.
Damit verbunden war, dass endlich das Zentralverbrechen der Nazis, der Mord an den europäischen Juden, in den Fokus der gesellschaftlichen Wahrnehmung geriet.
Jetzt wurden im Unterricht nicht mehr nur Filme gezeigt, damit diese gezeigt worden waren. Es wurde darüber diskutiert, Schule fragte nach Demokratie und Menschenrechten, Lehrer entdeckten ihre Aufgabe, Kinder zu einem „Niemals wieder!“ zu erziehen.
War bisher die Metapher Auschwitz prägend, so entstand nun Anfang der achtziger Jahre schnell und umfassend die Metapher Holocaust. Die prägte den Übergang zur vierten Phase, zur Phase der Vergangenheitsbewahrung. Diese dauert zur Zeit noch an,
Der Begriff der unbewältigten Vergangenheit – auch als Aufstandsbegriff gegen die spießig-bürgerliche Gesellschaft – wurde zunehmend schal. Dazu trugen auch die kritischen Enthüllungen in den achtziger Jahren bei und auch neue politische Landschaft (wie z.B. der Kniefall von Willi Brandt in Warschau es deutlich machen), die demonstrativ kritisch mit der NS-Zeit umging, wesentlich bei.
Symbolischer Auftakt für diese Phase war eine Konferenz 1983 anlässlich des 50. Jahrestages der Machtergreifung durch Hitler. Es entstand daraus eine Welle von Publikationen, die eines deutlich machte: Wie weit man noch in Deutschland von einer detailgetreuen Erforschung der Verbrechen des NS-Regimes entfernt ist. Und: Das es gerade diese Verbrechen sind, die das Interesse der nachwachsenden Generation an der Epoche des Nationalsozialismus immer wieder neu begründen.
Zeugen für diese Entwicklungen sind Steven Spielbergs Schindler Film von 1994 und dann 1996 Goldhagens Holocaust-Buch.
Vor dem Hintergrund des sich vollziehenden Abschieds von den Zeitgenossen der NS-Zeit geht es inzwischen weniger um die praktische Bewältigung benennbarer politischer Folgen der Vergangenheit. Zunehmend in den Mittelpunkt gerät vielmehr die Frage, welche Erinnerung an diese Vergangenheit künftig bewahrt werden muss.
Die Stockholmer Erklärung von Januar 2000 hat den Holocaust zur warnenden Botschaft des 20. an das 21. Jahrhundert erklärt. Alle teilnehmenden Staaten haben sich verpflichtet, neue Anstrengungen zu einer "Erziehung über den Holocaust" anzupacken.
Dies bedeutet, dass auch Staaten, in denen kein unmittelbarer Zusammenhang mit der NS-Geschichte besteht, sich daran beteiligen. Dies mag man begrüßen, denn die Lehren der Geschichte sind ja nicht staatlich begrenzbar.
Aber auch Vorsicht ist geboten: auch Geschichte kann globalisiert werden, und damit wird sie ein Stück weit aus ihrem unmittelbaren Zusammenhang gerissen. Hinzu kommt, dass eine ganz auf Globalisierung ausgerichtete Gedächtnispolitik zur Überforderung werden könnte. Zur Überforderung der 1939 von Deutschland überfallenen Völker, mehr noch aber für all jene Individuen, die mit der Vergangenheit des NS-Regimes mehr verbindet als ein auf die Zukunft gerichtetes moralisches Postulat, mithin also für die noch lebenden Opfer und ihrer Nachkommen, doch auch für die der Erbfolge der Täter stehenden Deutschen.
Damit wir dies gewährleisten können, sollten wir uns künftig an drei Postulate halten: